Es ist nicht der erste Bombenangriff auf Emden – aber es ist der schwerste. Innerhalb von 18 Minuten werfen kanadische Flieger am 6. September 1944 rund 15000 Spreng- und Brandbomben auf die Stadt ab. In den Schutzbunkern glauben die Menschen, dass Emden untergeht. Ganz unrecht haben sie nicht. Den Befehl, die Stadt komplett zu zerstören, können die Kanadier zu fast 80 Prozent ausführen. Von der über Jahrhunderte gewachsenen Pracht bleibt kaum etwas übrig.
Das einstige Venedig des Nordens liegt in Trümmern. Auch das Rathaus bleibt dieses Mal nicht verschont. Als diese Nachricht durchdringt, wirkt das wie ein Schock. Seit Juli 1940 hatte das Gebäude alle Luftangriffe unversehrt überstanden. Die Emder glaubten deshalb, dass der liebe Gott seine Hand über das Rathaus hält. Mit diesem 6. September war der Glaube dahin. Stellen Sie sich vor, Sie stehen hier und schauen nicht auf dieses beeindruckende Gebäude, sondern auf eine Ruine. Zeitzeugen erzählen, wie Frauen und Männer damals bei dem Anblick in Tränen ausbrachen. Der Verlust wirkte traumatisch. Mit dem Rathaus hatte man der Stadt ihren Stolz genommen. Es war mehr als nur ein Gebäude. Es war Symbol für ein Lebensgefühl.
Als das Rathaus in den Jahren 1574 bis 1576 gebaut wurde, drückte es das damalige Selbstvertrauen und den Reichtum der Stadt aus. Es waren mehr als gute Zeiten. Emden, das sich zur größten Reedereistadt Europas entwickelt hatte, führte ein eigenes Wappen, besaß wichtige Rechte und wusste sich gegen Unheil von außen zu wehren. Am Hafen, der Quelle des Wohlstandes, bekam das neue Rathaus seinen Platz. Der große Neubau wurde am Ratsdelft errichtet, der damals zum florierenden Hafen gehörte.
Unter der Leitung des Antwerpener Baumeisters Laurens van Steenwinkel arbeitete man zwei Jahre lang daran. Das Projekt verschlang 56000 Gulden. Vorbild für den prächtigen Renaissancebau war das Antwerpener Stadthaus. Die Emder liebten ihr Rathaus – auch wenn es ihnen zunächst nicht so richtig gefiel. Der Rathausbogen als Durchfahrt war nicht genau in der Mitte des Gebäudes. Dieses schiefe Bild lag einigen quer im Magen. Doch die Verstimmung hielt nicht lange an.
Nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg vergingen 15 Jahre, bevor man begann, das Rathaus aus den Ruinen neu aufzubauen. Die Pläne des Bremer Architekten Bernhard Wessel waren nach drei Jahren umgesetzt.
Am 6. September 1962, genau 18 Jahre nach der Zerstörung, wurde das Rathaus als Kulturhaus wieder eröffnet. Das Standesamt und das Kulturamt, die Stadtbücherei und das Stadtarchiv, die als Rüstkammer bekannte umfangreiche Sammlung frühneuzeitlicher Waffen und das Ostfriesische Landesmuseum fanden hier ein Zuhause.
Rund 40 Jahre nach der Wiedereröffnung wurde das Gebäude für das Ostfriesische Landesmuseum Emdenkomplett saniert, umgebaut und erweitert. Die Ämter der Stadtverwaltung hatten das denkmalgeschützte Rathaus zu der Zeit längst wieder verlassen. Das Ergebnis des Umbaus stellte die Stadt erneut an einem Jahrestag der Zerstörung vor. Dieses Mal war es der 61. - am 6. September 2005 feierte das Museum seine Wiedereröffnung. Im Gebäude befindet sich auch der so genannte Rummel – ein kleiner Saal für Veranstaltungen und offizielle Empfänge der Stadt.
Kontakt:
Ostfriesisches Landesmuseum Emden
Rathaus am Delft
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I: www.landesmuseum-emden.de